Psychobilly ist bekannt für die Glorifizierung der Leichenfledderei, Ghouls, Zombies und anderer Grausligkeiten. Wenn dann aber im GEI Timelkam vergangen Samstag die blutleere Hülle einer Szenenlegende wie DEMENTED ARE GO auf der Bühne steht, vergeht einem schon mal das morbide Grinsen im Gesicht.
Dabei hätte dieser Abend in die Annalen der oberösterreichischen Subkultur eingehen können. Denn nach einer Durststrecke an guten Konzerten im GEI hat der Tales From The Crypt Kulturverein mit der Shock ’n‘ Roll Night Vol. II endlich wieder einen Grund für die Erschütterung des timelkamer Untergrunds geliefert. Das Line-up schlug bereits im Vorfeld ein, wie die Axt in einen 1960er-Slasher-Schädel. EVIL DEVIL, THE ROCKET DOGZ, LONG TALL TEXANS, HILLBILLY MOON EXPLOSION und zu guter Letzt das Gustostückerl dieses Wiedergängers: DEMENTED ARE GO.
Gerade die Kombination der beiden letztgenannten Acts war ein Gutzi, für das man T.F.T.C. ewig dankbar sein muss. Denn die „Sparky Sessions“ stellten schon direkt nach dem Erscheinen von „My Love For Evermore“ 2011 einen Klassiker der schaurig-schönen Psychoschnulze dar. Sowas live zu erleben, ist schon ein potenzielles Highlight für sich. Dementsprechend schnell waren die locationbedingt stark begrenzten Tickets vergriffen und so manches Psychoherz gebrochen.
THE ROCKET DOGZ – Einheizen mit Zündhemmungen
Mit sechs Bands am Billing und einem straffen Zeitplan ging es am Samstag dann – halbwegs – pünktlich los. Im eher unterkühlten Keller Timelkams durften die Tschechen von den ROCKET DOGZ dem ebenfalls unterkühlten Publikum den erwärmenden Abendsport des kollektiven Tanzes nahelegen. Woran es dann genau lag, dass die versammelte Psychoschaft hier eher auf Respektabstand blieb, kann nicht genau eruiert werden. Ist es die übliche Zurückhaltung beim Opener? Oder gar die Angst vor drei äußerst motivierten Tschechen? An der Musik lag es jedenfalls nicht, denn die ROCKET DOGZ mit einer 15 Songs umfassenden Setlist einen Querschnitt ihrer Karriere. Anspieltipps jedenfalls die Hymne an Jessica Fletcher „Murder She Wrote“ – leider ohne Violinenbegleitung – und „Queen of the Thieves“ vom neuen Werk „Out Of Cages!“
Und nur am Rande: kommt eigentlich jeder Kontrabass im Einkauf im verpflichtenden Bundle mit Porkpie-Hut und einem Bowlinghemd? Asking for a friend.
EVIL DEVIL – (some of) the boys are back
Welcome home! Die Quasi-Stammgäste aus Italien begrüßt man doch immer wieder gern in den heiligen Hallen des GEIs – zuletzt 2016 in der alten Besetzung. Von der alten Besetzung ist ja gerade mal Fronter, Sänger, Bandhirn und Evil Devil himself – Thomas Buoli – übergeblieben. Entsprechen ungewohnt war es wohl für die „Neuzugänge“, mit fünf Mannen auf gefühlten zweieinhalb Quadratmetern zu spielen. So mussten sich die beiden Chitarristi, Marco und Encrico, fürs gewohnte gemeinsame Gitarrengepose aus der Ferne gegenseitig anhimmeln. Najo, macht nix! Musikialisch lieferte das Fünfergespann gewohnt genialen Italo-Psychobilly. Top Hit der gewohnte Mitgröhlklassiker „Without You“.
LONG TALL TEXANS – Too long, don’t care
Im Anschluss an die Italiener standen die LONG TALL TEXANS aus Brighton, GB auf den Brettern und lieferten THE CLASH-verschnittenen Psychobilly der höchsten Güte. Long, tall – nomen est omen. Leider war Basser und Sänger Mark Carew damit etwas zu groß für den von EVIL DEVIL geliehenen Kontrabass und kommentierte dies frei nach dem Motto „Ich seh ja aus wie ein Äffchen mit dem kleinen Bass“. Aber eine Frohnatur wie Herrn Carew kriegt sowieso nix unter. Der Mann geistert seit über vierzig(!) Jahren durch die Szene und hat schon schlimmeres (üb)erlebt.
Sympathiepunkte hat das britische Dreiergespann jedenfalls auf ganzer Linie geholt, trotz/auch mit leicht verhunztem Gesang von Zeit zu Zeit. Dem zahlreich schunkelnden und wreckenden Publikum war das natürlich komplett wurscht und diejenigen ohne schiefe Stimmlage mögen den ersten Stein werfen.
THE HILLBILLY MOON EXPLOSION – Licht und viel Schatten
Das Highlight des Abends waren ganz klar die britisch-italienisch-schweizerischen Multitalente von THE HILLBILLY MOON EXPLOSION, allen voran natürlich das Frontduo Oliver Baroni x Emanuela Hutter. Wobei man aber sagen muss, dass Gitarrist und Showman Duncan James sowohl die Sympathiewertung für sich sicherte, als auch die Krone für den stylischsten Auftritt ohne Konkurrenz abräumen konnte. Auch technische Probleme nahm das routinierte Quartett entsprechend gelassen und die spontane Jamsession von Duncan James und Trommler Sylvain Petite könnte man gern auch ins Regelprogramm aufnehmen.
Nach guten 15 Songs – unter anderem natürlich mit Gassenhauern wie „Buy, Beg Or Steal“ und „Depression“ – war es dann so weit und das Beauty & The Beast Highlight mit Sparky Phillips stand am Programm. Aus „My Love For Evermore“ wurde dann, dank eines nahezu komatösen, kurz vor dem Exitus stehenden, unverständlich vor sich hinbrummenden Sparky eher ein „Please, gods, don‘t let this last for evermore“. Zugedröhnt, übermüdet vom 60. Geburtstag am Vortag, oder schlicht und ergreifend mit beiden Beinen im Sarg, war Sparky nicht mehr in der Lage, hier auch noch irgendeinen nennens- oder wünschenswerten Input zur lyrischen Psychobillyvariante von Bonnie & Clyde zu liefern. Man könnte meinen, dass Sparkys lyrisches Ich, welches im Song mit Schussverletzungen verblutet und verstirbt, hier näher an der Realität ist, als einem lieb sein kann.
Verpasste Einsätze, auditorisch nicht identifizierbare, angestrengt gebrummte Satzfetzen und eine sichtlich genervte, heillos verlorene Emanuela Hutter demontierten eine Legende. Und das in etwa drei Minuten, die sich nach einer dreiviertel Ewigkeit anfühlten. Um es mit den Worten einer Anwesenden zu sagen: „Meine romantische Jugendvorstellung ist fix zerstört. Für immer.“
Abgesehen von dem desaströsen Auftritt von Sparky, stellt sich – wenn man die morbide Faszination mit Grabräubern, Leichenschändern, Selbstzerstörern und Wahnsinnigen beiseiteschiebt – hier hauptsächlich eine Frage: Darf man das noch akzeptabel finden – oder gar gut? Soll man hier einen von seinem selbstzerstörerischen Lebensstil bis aufs Mark gezeichneten 60-jährigen Mann noch auf die Bühne treiben und das alles durch Applaus und Eintrittsgelder direkt und indirekt unterstützen? Soll man hier wirklich so lang weitermachen, bis der nächste G.G. Allin Moment durch die Subkultur geht?
DEMENTED ARE GO – reale Zombieapokalypse
Nachdem dieser Realhorror dann endlich sein Ende genommen hatte, stellte sich die nächste Frage: Schafft Sparky überhaupt den Auftritt seiner eigenen Band? Und wenn ja, wie lange?
Tatsächlich erschien Herr Phillips unter diversen „Happy Birthday“-G’stanzerl mit gerade mal 15 Minuten Verspätung erneut auf der Bühne. Welche lebenserhaltenden und -verlängernden Maßnahmen und Substanzen hier im Spiel waren, will man gar nicht wissen. Sehr zum Verwundern der Anwesenden – und allem Anschein nach auch dem Rest von DEMENTED ARE GO – legte Sparky einen halbwegs akzeptablen Auftakt hin. Hier dürfte wohl das Muscle Memory die Hauptlast der Performance getragen haben und man merkte gerade bei den „Oldies, but Goldies“-Songs, dass irgendwo in diesem vegetativen Nervensystem in Faux-Leopardenfell doch noch ein kleiner Funken Sparky steckt. Dennoch – von der Qualität, die noch beim letzten GEI-Besuch Anno 2016 oder dem legendären Pfingstspektakel-Gig 2014 da war, ist wenig über.
Auch wenn Sparky „Bodies In The Basement“ et al. halbwegs verständlich ins Mikro rotzt, ist der Gesamteindruck erschreckend. Und eigentlich hat man nur noch Mitleid und hofft, dass Sparky gerade jetzt zu seinem 60er noch genug vom Leben und einem etwaigen Ruhestand haben kann. Verdient hat er es sich auf jeden Fall.